Wolfgang Wagner


Pfarrer Wolfgang Wagner Evangelische Akademie Bad Bol
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Andacht vor Vikaren und Klinikseelsorgern am 10.1.2006 zur Tageslosung Psalm 5,23

Herr, höre meine Worte, merke auf mein Reden! Vernimm mein Schreien; denn ich will zu dir beten.

Liebe Gemeinde !

Genau vor einer Woche stand ich in Atlanta in der Kirche von Martin Luther King, der am kommenden Sonntag 77 Jahre alt geworden wäre, wenn ihn nicht ein Attentäter 1968 erschossen hätte. Die Ebenezer Kirche ist heute ein Museum, seine baptistische Gemeinde hat sich gegenüber mittlerweile eine größere gebaut. Aber so ist seine Zeit konserviert und wenn man seine Kanzel betrachtet, dann kann man sich vorstellen, wie er hier wortgewaltig gegen den weißen Rassismus gepredigt hat. Bekanntlich nicht nur das. Er hat auch als geistiger Schüler Gandhis die gewaltfreie militante Aktion in die Auseinandersetzungen eingeführt, was ihm mit 35 Jahren den Friedensnobelpreis einbrachte.
Die von ihm gegründete und lange angeführte Southern Christian Leadership Conference gibt es heute noch, wenn sie auch die einstige Bedeutung verloren hat. Viele Besucher, nicht nur junge Schwarze, kommen zur Gedenkstätte. Ich konnte mich mit einer einstigen Mitstreiterin von ihm unterhalten, die sich darüber freute, dass King und sein Kampf für die Bürgerrechte in unseren Schulbüchern dargestellt wird. Die Reden, Aufsätze und Predigten des Bürgerrechtlers zählen inzwischen zu den Klassikern der Weltbotschaften , sein legendärer Ausspruch Ich habe einen Traum ist immer noch Hoffnungsträger für die unterdrückten Völker dieser Erde. Bezeichnend auch, dass der Martin-Luther-King-Day einer der wenigen offiziellen Feiertage in den USA ist. Eine Nation verneigt sich damit vor den Visionen eines echten Pazifisten. Seine Texte zeigen, wie Wut und Hass umgewandelt werden können zu schöpferischer Kraft in jedem Menschen, und sie sind heute aktueller denn je.

Doch lieferbar ist in Deutschland nur noch ein Buch von ihm Ich habe einen Traum und theologisch gibt es nur eine aktuelle Darstellung des einstigen Mitstreiters Hans-Eckehard Bahr auf dem Markt. In unserer Kirche und Theologie hat er keine nachhaltige Wirkung erzielt. Theologische Arbeiten über ihn aus deutschen Fakultäten kenne ich kaum. Nicht einmal wichtige amerikanische Beiträge werden übersetzt. Dabei könnte er doch in seiner Person eine Brücke sein zwischen denen, die Aktion und Veränderung wollen und denen, die auf Gebet und Kontemplation setzen. Ich gebe zu, dass er mich seinerzeit im Studium ungeheuer beflügelt hat.

Denn dieser Mann war nicht nur ein politischer Akteur, sondern auch ein großer Beter. Nicht nur in der Kirche in seiner singenden Gemeinde, sondern auch auf der Straße unter den harten Strahlen der Wasserwerfer oder brutalen Knüppel der Polizei.

Es ist erschütternd, wenn man in den alten Filmaufnahmen sieht, wie er die Menschen beten lehrt in all dem Hass und in aller Gewalt. Ja einige bekennen: Ohne Gebet hätten sie verzweifelt aufgegeben oder sich der sinnlosen Gegengewalt verschrieben.

Ist dafür Platz in unserer bürgerlichen Kirche? Ich fürchte, man nimmt lieber Ungerechtigkeiten hin, als sich dem Vorwurf auszusetzen umstritten zu sein. Und das ist ja eigentlich das schlimmste, was gegenwärtig hierzulande einem Pfarrer passieren kann. Na gut, Bischof wird man auch nicht als Radikaler. Aber das kann sowieso nur einer sein.

Dabei ist doch schon die Sprache der Hebräischen Bibel militant. Ob deswegen dieser Psalm 5 nicht in den liturgischen Teil des Gesangbuches genommen wurde? Wie soll man das anders verstehen? Wer böse ist, bleibt nicht vor dir. Die Ruhmredigen bestehen nicht vor deinen Augen; du bist feind allen Übeltätern. Du bringst die Lügner um; (also, wenn das nicht militant ist!) dem Herrn sind ein Greuel die Blutgierigen und Falschen v5-7.

Martin Luther King hat als Jünger Jesu und Schüler Gandhis verstanden, dass selbst die Blutsauger verwandelt werden können. Das Böse hassen, aber den Bösen lieben heißt das unmöglich schwere christliche Programm. Bitter konnte er werden, wenn – in seinen Worten – weiße Kirchenmänner abseits standen und nichts Besseres zu tun wussten, als fromme Sprüche und scheinheilige Belanglosigkeiten im Munde zu führen. Die meisten Menschen, besonders aber die Christen, verhalten sich wie Thermometer. Sie zeigen die Temperatur der Mehrheitsmeinung an. Sie sind aber nicht wie Thermostaten, die die Temperatur der Gesellschaft regeln.

Einmal betete er direkt: Ja, Jesus, ich möchte an deiner rechten oder linken Seite sein, nicht aus irgendwelchen selbstsüchtigen Motiven.
Ich möchte an deiner rechten oder linken Seite sein, nicht aus Gründen politischer Berechnung oder aus Ehrgeiz. Nein, ich möchte dort nur sein in Liebe und Gerechtigkeit, in Wahrhaftigkeit und in der Verpflichtung gegenüber anderen, damit wir aus dieser alten Welt eine neue Welt schaffen können.
Amen